„Spartacus“ von Juri Grigorowitsch. Tanz: Ensemble

„Spartacus“ von Juri Grigorowitsch. Tanz: Ensemble

Rechnung aufgegangen

Das Bayerische Staatsballett zeigt als erste westliche Kompanie „Spartacus“

Kein garantierter Erfolg: Bisher war das Publikum auf die historische Aufarbeitung der Pariser Ballets Russes und der US-Moderne von José Limón und Merce Cunningham eingestellt.

München, 25/12/2016

Für Münchens neuen Staatsballettchef Igor Zelensky ist die Rechnung aufgegangen. Minutenlange Standing Ovations im Nationaltheater am Ende seiner ersten Premiere mit „Spartacus“ (1968) von Russlands Meisterchoreograf Juri Grigorowitsch zu Aram Chatschaturjans gleichnamiger Ballettkomposition von 1956. Auf der Bühne ein strahlendes Ensemble und ein ebenfalls glücklicher Grigorowitsch. Garantiert war der Erfolg ja nicht. Bisher war das Publikum auf die historische Aufarbeitung der Pariser Ballets Russes und der US-Moderne von José Limón und Merce Cunningham eingestellt. Und jetzt ein sowjetisches Helden-Epos, dem noch das damals verordnete Pathos des Klassenkampfes anhängen könnte?

Hier kurz gefasst der Inhalt von Nikolai Wolkows Libretto (nach Raffaello Giovagniolis Roman "Spartaco" von 1874): Nach der erfolgreichen Schlacht des römischen Feldherrn Crassus gegen die Thraker werden die Gefangenen als Sklaven verkauft, darunter auch Spartacus und seine Frau Phrygia. Spartacus, zum Gladiator gezwungen und erschüttert, dass er im befohlenen Kampf einen Freund getötet hat, plant nun endgültig einen Aufstand. Zusammen mit Schicksalsgenossen und aufständischen Bauern besiegt er das römische Heer, schenkt aber Crassus das Leben. Der so gedemütigte Feldherr, weiter angestiftet von seiner ehrgeizigen Mätresse Aegina, nimmt tödliche Rache an Spartacus. Phrygia bleibt nur die Trauer um ihren geliebten Mann.

Sicher ist, dass in der UdSSR Kunst und Kultur von oben gesteuert wurden, und das heroische Thema ganz auf Linie lag. Heute jedoch ist nur die Frage: überzeugt Grigorowitschs „Spartacus“ als „überzeitlicher Klassiker“? Die Antwort ist ja, auch wenn das Ballett nicht jedermanns Geschmack sein muss. Grigorowitsch hatte Leonid Jakobsons schwerfällige 4-aktige Uraufführungs-Fassung von 1956 verschlankt und so seine Version fürs Bolschoi-Ballett als maßgebliche durchgesetzt. Zu Recht. Die Handlung konzentriert sich auf den Spartacus-Crassus-Konflikt. Mit Gattin Phrygia kommt Liebe ins Spiel, mit Crassus' Mätresse Aegina ein intriganter gesellschaftlicher Aufstiegs-Ehrgeiz. Der Verlauf des Geschehens, von der Gefangennahme des Thrakers Spartacus bis hin zu seinem Heldentod, ist tatsächlich leicht mitzuverfolgen – ohne dass man ermüdet!

Das Ballett wirkt wie ein vorbeiziehender Bilderbogen: jetzt bühnenfüllende Tableaux mit Schild-bewaffneten Legionären oder gefesselt-gebeugt verharrenden Sklaven; dann militärisch gezirkelte Aufmärsche der Crassus-Armee, angriffsbereit stampfende Sklaven oder majestätische Patrizier, als seien sie eben von einem antiken Relief herabgestiegen. Und dazwischen in gleitendem Übergang Soli und Pas de deux der vier Protagonisten. Jede Szene hat ihre eigene musikalische Farbe, ihren eigenen Rhythmus. Durch Kürzungen und Umstellungen innerhalb der Partitur hat Chatschaturjan dem Choreographen einen regelrecht filmischen Soundtrack geliefert: von kaukasischen Volksmusikklängen bis zu Kriegsgerassel und -geschmetter; von jazzigen Schattierungen bei Aeginas verführerisch weiblichem Kampf-Ablenkungsmanöver gegenüber der Spartacus-Truppe bis zum Adagio-Schmelz für Phrygias Solo und Pas de deux mit Spartacus. Gast-Dirigent Karen Durgaryan hat das Staatsorchester bestens im Griff, vor allem bei den sanft-melodischen Passagen. Das Martialische gerät schon mal allzu blechern-schrill.

Das Ballett sei wenigstens unterhaltsam, so der Pausenkommentar eines britischen Zuschauers. Ist doch prima – aber nicht alles. Grigorowitsch erzählt ähnlich wie John Cranko seine Handlung ohne gestrige Pantomime rein über den Tanz. Er hat, vielleicht ja damals ideologisch motiviert, dennoch genau wie Maurice Béjart, den männlichen Tänzer in seiner virtuosen Kraft herausgestellt, gleichzeitig den Tänzerinnen – auch in der Gruppe – eine unerhörte Eleganz zugebilligt. So fliegen der Kubaner Osiel Gouneo als Spartacus und Sergei Polunin als Crassus in hohen Sprüngen über die Bühne. Und die Damen zieren ihre hohen Beine noch mit sehr freien schwelgerischen Ports de bras. Man könnte das gut und gerne „russische Neoklassik“ nennen. Siehe Ivy Amista als Phrygia und Royal-Ballet-Gast Natalia Osipova, die ihrer fußschnellen Aegina noch einen erotischen Glamour auflegt. Das Quartett ist eine Idealbesetzung, nicht nur für Grigorowitschs vertracktes Schrittmaterial und die irrwitzigen hochgestemmten Bolschoi-Hebungen. Sie sind, weit weg von den klassischen Prinzen/Prinzessinnen und Rotbarts, im modernen Sinn: echte Charaktere in einem Drama über dekadenten Machtanspruch und Freiheitsdrang. Ohne die ständige fruchtbare Anregung durch und Auseinandersetzung mit anderen stilistisch wagemutigen Choreographen aus Nachbarländern, wie es bei uns im Westen möglich war, hat Grigorowitsch auf seine Weise das russische Ballett erneuert. Sein „Spartacus“ ist nicht als Museum, sondern als wichtiges historisches Dokument zu würdigen. Dabei muss man darüber hinwegsehen, dass die Tänzer es heute nicht mehr so tanzen können wie 1968 Wladimir Wassiljew, Jekaterina Maximowa, Maris Liepa und Nina Timofjewa, weil es andere, durch unsere Zeit geprägte Menschen sind. Wenn man sich für diese Premiere etwas gewünscht hätte, dann eine neue, frischere Ausstattung als Simon Virsaladzes von grauen „römischen“ Pappmauern dominierte Bühne und seine heute etwas abgetragen wirkenden Kostüme.

Weitere Vorstellungen an diesem Sonntag, 18 Uhr, 29. 12., 19 Uhr
 

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